Pressemitteilungen Sprachwandel

Anglizismen in der öffentlichen Kommunikation von Unternehmen und Wissenschaft

Kurzfassung

Richtet sich der Sprachstil von Pressemitteilungen und Werbung nicht nach dem Kommunikationsziel, sondern überwiegend nach dem Geschmack und den Präferenzen der Verfasser? Die Ergebnisse einer Studie, die Lena Iwertowski und Professor Stephan Winter vom Institut für Kommunikationspsychologie der TU Kaiserslautern-Landau im Auftrag der Vestischen Forschungsstiftung durchgeführt haben, lassen es so erscheinen. Im Zuge einer Befragung suchten sie die Einflussgrößen auf den Gebrauch von Anglizismen. Öffentlichen Sprechern wird ein stärkerer sprachprägender Einfluss zugemessen als Privatpersonen.


Die Betrachtung bezieht sich auf zwei Bereiche, den allgemeinen Sprachgebrauch und die Neueinführung von Fremdwörtern. Es überrascht nicht, dass derjenige, welcher eine positive persönliche Einstellung zu Anglizismen hat, auch angibt, sie häufiger zu gebrauchen. Diese geäußerte Neigung reduziert sich bei einem praktischen Auswahltest auf weniger als die Hälfte. Von Einfluss sind weiterhin das Bestreben, positive Empfindungen hervorzurufen und Gruppenidentität anzusprechen und das Bestreben der globalen sprachlichen Vereinheitlichung, das u.U. gewisse Vereinfachungen im internationalen Austausch der Marketingaktivitäten mit sich bringt. Das erstere kann man marketingtechnischen, wirtschaftlichen Interessen zuschreiben, das zweite eher einem sprachlichen Vereinheitlichungstrend internationaler Firmen. Während dieser Vereinheitlichungstrend in der Wissenschaft dominiert, konkurriert er bei Unternehmen mit dem Bestreben, positive Empfindungen hervorzurufen. Persönliche Charaktermerkmale spielen beim Sprachgebrauch kaum eine Rolle. Schließlich fällt auf, dass mittelständische Unternehmen weniger zu Fremdwörtern neigen; am stärksten ist die Aversion gegen Anglizismen bei älteren Sprechern. Nicht untersucht wurde, welchen Einfluss diese Sprachstile auf die Wirksamkeit oder Akzeptanz der Botschaft haben.



Unabhängig davon wurde der Wunsch oder das Bestreben untersucht, Anglizismen neu in die deutsche Sprache einzuführen. Hier dominieren die persönliche Einstellung zu Anglizismen, das emotionale Motiv der Vermittlung positiver Empfindungen und das Geschlecht. Männer führen gerne einmal Anglizismen ein, wenn es dem verfolgten Zweck dient.

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Ausführliche Zusammenfassung

Richtet sich der Sprachstil von Pressemitteilungen und Werbung nicht nach dem Kommunikationsziel, sondern überwiegend nach dem Geschmack und den Präferenzen der Verfasser? Die Ergebnisse einer Studie, die Lena Iwertowski und Professor Stephan Winter vom Institut für Kommunikationspsychologie der TU Kaiserslautern-Landau im Auftrag der Vestischen Forschungsstiftung durchgeführt haben, lassen es so erscheinen. Im Zuge einer Befragung von Unternehmensvertretern aus Marketing und Kommunikation und Vertretern aus der Wissenschaft untersuchten sie deren Motivationen zur Nutzung von Anglizismen in Werbung und Kommunikation.



Frühere Untersuchungen, die sich auf die breite Öffentlichkeit der Sprachbürger bezogen, hatten die Sprecher in ihrem Sprachgebrauch bezüglich Anglizismen nach Persönlichkeitsmerkmalen und Einstellungen unterschieden, um zu erkennen, wer warum zu Anglizismen neigt. Die nun vorliegende Studie verfolgt die gleichen Ziele in Bezug auf Organisationseinheiten, die sich im öffentlichen Raum äußern, und zwar am Beispiel von Unternehmen und wissenschaftlichen Forschungseinheiten. Ersteren kann man unterstellen, dass ihre Äußerungen über den substanziellen Inhalt hinaus stets dem betriebswirtschaftlichen Nutzen ihres Unternehmens dienen sollen. Letztere haben die Aufgabe, die Öffentlichkeit (die sie finanziert) über Ihre Tätigkeiten und ihre neuen Erkenntnisse zu informieren. Beide haben einen wesentlich größeren Einfluss auf den Sprachgebrauch als der einzelne Sprachbürger und wirken damit sprachprägend.

Es mag interessant sein, frühere Erkenntnisse mit den neuen dieser Untersuchung zu vergleichen. Daher noch einmal kurz wesentliche Ergebnisse aus der Literatur: Menschen neigen zum Gebrauch von Anglizismen, wenn sie eine geringere Identifikation mit der deutschen Kultur und eine größere Hinwendung zu amerikanischen Lebensformen verspüren. Sie weisen oft eine höhere Bildung und ein geringeres soziales Engagement auf. Frauen stehen Anglizismen aufgeschlossener gegenüber, vor allem wenn sie politisch eher links orientiert sind. Ältere und wohlhabendere Personen stehen Anglizismen eher kritisch gegenüber.

Iwertowski/Winter befragten zufällig ausgewählte Vertreter von Unternehmen und Wissenschaft für die Kommunikation nach außen in online Fragebögen nach ihrer Neigung, Anglizismen zu benutzen und testeten diese im zweiten Schritt durch eine Liste von gleichbedeutenden deutschen und englischen Begriffen, aus denen die bevorzugten Wörter ausgewählt werden mussten. In einem dritten Schritt wurde versucht zu ergründen, wie weit die Befragten geneigt oder bestrebt sind, neue Anglizismen in ihre Aussagen einzubauen und warum sie das tun. Zur Konzipierung der online-Befragung ging dieser in einer getrennten Kampagne eine Interviewphase mit je 20 Vertretern aus Unternehmen und Wissenschaft voraus. Bei der Ergründung des Sprachverhaltens mit diesen drei Konzepten wurden durch direkte und indirekte Methoden demografische

Merkmale, Persönlichkeitscharakteristika, mögliche Beweggründe für die Anglizismennutzung im Einzelfall und die allgemeine Einstellung zu Anglizismen der Teilnehmer ermittelt. Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse für den Fall, dass alle betrachteten Einflussgrößen (Demografie, Persönlichkeits-/Charaktermerkmale, Nutzungsmotive, Unternehmensform) sukzessive in einem Modell berücksichtigt werden in Kurzform.


Den stärksten Einfluss auf den Sprachgebrauch in der Unternehmenskommunikation
hat in zwei Untersuchungsfeldern die positive persönliche Einstellung der Unternehmenssprecher zu Anglizismen. Beim allgemeinen Anglizismengebrauch folgen an zweiter Stelle Gründe für die Formulierung der Botschaft, die sich auf die Zielgruppe beziehen, nämlich das Bestreben, positive Empfindungen hervorzurufen und Gruppenidentität anzusprechen (sozial-emotionales Motiv). Dieses Motiv tritt auch bei der Neueinführung von Anglizismen auf, aber erst an dritter Stelle.


Wird die Anglizismusneigung durch Auswahltest ermittelt, liegt das Motiv der globalen sprachlichen Vereinheitlichung, das u.U. gewisse Vereinfachungen im internationalen Austausch der Marketingaktivitäten mit sich bringt (pragmatisches Motiv) an erster Stelle. Dieser Grund taucht bei der Analyse des allgemeinen Anglizismengebrauches nach Selbstauskunft an dritter Stelle auf. Mit zunehmendem Alter nimmt die Neigung, Anglizismen zu gebrauchen gemäß Auswahltest ab. In der öffentlichen Kommunikation führt eher das männliche Geschlecht neue Anglizismen ins Deutsche ein während Frauen eher bekannte Anglizismen weiter verbreiten, zumindest wenn sie nicht in der Wissenschaft tätig sind. Auf den weiteren Rängen der Einflussgrößen finden sich keine Zielgruppen abhängigen oder semantischen/stilistische Gründe mehr. Hier tritt die Unternehmensgröße als bestimmender Faktor in den Vordergrund. Offensichtlich neigenmittelständische Unternehmen weniger dazu, die Deutsche Sprache zu verlassen.

Im Bereich der Unternehmenskommunikation scheint keines der Persönlichkeitsmerkmale einen signifikanten Einfluss auf die Anglizismennutzung zu haben. Insgesamt scheinen die Absender bezogenen Gründe und Einflussgrößen zu dominieren. Nur an zwei Stellen richtet sich die Unternehmenskommunikation nach Auskunft ihrer Absender nach Kommunikationszielen, die auf die Empfänger bezogen sind (sozial-emotionale Motive).



Den Unternehmen steht die Wissenschaft mit anderen Kommunikationsaufgaben gegenüber. Hier dominiert das pragmatische Motiv Sprachraum übergreifender Vereinheitlichung von Begriffen gefolgt von Persönlichkeitsmerkmalen. Der Neueinführung von Anglizismen steht Machtstreben und Verträglichkeit entgegen. Die Bereitschaft, sich Neuem zu widmen, Extraversion, hat in zwei von drei Bereichen einen verstärkenden Effekt auf den Anglizismengebrauch. Gründe, die auf Beeinflussungsbestrebungen schließen lassen könnten, entfallen hier.


Abschließend sollte vermerkt werden, dass die Stärken der Einflussgrößen (Regressionskoeffizient) gleicher Rangordnung nicht gleich groß sind. Die Rangordnung ergibt sich innerhalb eines Untersuchungsthemas/-modus. Die von Unternehmensvertretern genannten Gründe sind Vermutungen der Befragten. Belege für deren Richtigkeit werden nicht genannt. Ob sie mit den Vorstellungen der Marketingexperten im selben Unternehmen übereinstimmen, bleibt offen. Subjektive Wahrnehmung und Verzerrung im Selbstbericht sind möglich. Mit 203 Befragten (Unternehmen) und 107 (Wissenschaft) ist die Repräsentativität der Ergebnisse eingeschränkt. Eine Fortführung des Projektes müsste vor allem letztere Punkte in den Blick nehmen.


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Sprachwandel als Maß des gesellschaftlichen Zusammenhaltes? 

Neue Studien bringen neue Ergebnisse

Kurzfassung:

Zusammenhang zwischen Anglizismen und Persönlichkeit

Studien der Universitäten Mainz und Marburg haben den Sprachwandel durch Anglizismen aus sozialpsychologischer Sicht untersucht. Es ging dabei weniger um die Frage, wie sich die deutsche Sprache verändert, sondern vielmehr darum, wer sie verändert. Dazu wurden Persönlichkeitsmerkmale und Überzeugungen von Personen analysiert, und anschließend in den Zusammenhang zur Einstellung gegenüber dem Anglizismengebrauch gesetzt. Das Ergebnis: Anglizismenfreunde empfinden grundsätzlich eine geringere Identifikation mit der deutschen Kultur und Gesellschaft. Häufig lasse sich eine stärkere Hinwendung zu US-amerikanischen Lebensformen vorfinden, und soziales Engagement sei nicht stark ausgeprägt. Menschen, die Anglizismen gegenüber eher abgeneigt sind, weisen eine stärkere Identifikation mit der deutschen Kultur, geringere Englischkenntnisse, sowie einen größeren Wohlstand auf – Merkmale, die nicht zuletzt oft mit höherem Alter einhergehen. Auch bezüglich des Geschlechts war eine Tendenz zu erkennen: Frauen seien Anglizismen gegenüber aufgeschlossener als Männer, vor allem dann, wenn sie politisch eher linksorientiert und gesellschaftlich weniger engagiert seien.
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ausführlichere Version:

Dorsten. Neue Studien an den Universitäten Mainz und Marburg legen einen Zusammenhang zwischen Sprachgebrauch und gesellschaftlichem Zusammenhalt nahe. Professor Roland Imhoff, Sozialpsychologe in Mainz und Professor Christopher Cohrs, Sozialpsychologe in Marburg untersuchten den Sprachwandel durch Anglizismen in getrennten Studien erstmalig aus sozialpsychologischer Sicht. Dabei ging es eben nicht um die Frage wie verändert sich die Sprache, sondern wer verändert die Sprache. Ziel der Forschungen war es, Persönlichkeitsmerkmale, Einstellungen und Überzeugungen der Sprachwandler zu erkennen und damit vielleicht psychologische Triebfedern des Sprachverhaltens zu identifizieren.

Als dominierende und stabilste Merkmale der Anglizismenfreunde zeigten sich in beiden Untersuchungen deren geringere Identifikation mit der deutschen Kultur und Gesellschaft bei gleichzeitig stärkerer Hinwendung zu amerikanischen Lebensformen. Unter den weiteren Merkmalen des Zusammenhaltes zeigen sie ein eher geringeres soziales Engagement.

Einen starken Zusammenhang mit dem Sprachverhalten zeigen auch die demografischen Variablen Alter, Bildung und Geschlecht. Bezüglich der Gründe des Sprachverhaltens sind dies jedoch nur indirekte Variable. Aufklärung über das Warum leisten hier nur die weiteren Persönlichkeitsmerkmale der Gruppen, die eben durch Lebensalter, Bildung und Geschlecht geprägt werden. Frauen sind Anglizismen gegenüber aufgeschlossener als Männer, und zwar besonders dann, wenn sie politisch eher linksorientiert und gesellschaftlich weniger engagiert sind. Mit dem Alter ist meist eine stärkere Identifikation mit der deutschen Kultur, geringere Englischkenntnisse und größerer Wohlstand verbunden. Merkmale, die auf einen eher geringen Fremdwortgebrauch hinweisen.

„Die hauptsächlichen auslösenden Faktoren für einen steigenden Gebrauch von Anglizismen im Alltag sind Medien, die Finanzbranche und vor allem die Werbewirtschaft. Leider waren diese nicht Teil der Untersuchungen, erklärt Dr. Hans-Joachim Thelen, Vorsitzender der VFS. Diese richten ihren Sprachgebrauch nach den wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen aus“. Die Forschergruppen um Prof. Imhoff und Prof. Cohrs waren bei ihrer Suche nach den Gründen des Sprachwandels aber auf der Suche nach Persönlichkeitseigenschaften, Meinungen, Einstellungen und Überzeugungen von Individuen.
Bildung ist heute mit der Vermittlung von Englischkenntnissen verbunden, was wiederum mit verstärktem Anglizismengebrach einher geht. Für beide Triebfedern des Sprachwandels – von institutionellen Verbreitern wie individuellen Verwendern – könnte eine Erkenntnis aus den Studien einen Erklärungsbeitrag leisten. Je stärker der Anglizismengebrauch im Umfeld des Sprechers, desto mehr neigt auch er selbst zu einen stärkeren Gebrauch englischer und aus dem Englischen entlehnter Begriffe. Solche selbstverstärkenden Effekte sind auch aus Soziologie, Wirtschaft und Physik bekannt.

Differenziert nach ihrer Verwendungsneigung gelingt es Cohrs die Befragten in vier Typen von Anglizismus-Verwendern einzuteilen: die „Selektiven“ (41,2 Prozent der Befragten), die von Fall zu Fall entscheiden, welchen Begriff sie benutzen, die „Vermeider“ (38,2 Prozent), die englischen Begriffen gegenüber kritisch eingestellt sind sowie die „Gemäßigten“ (14,1 Prozent), die „eher deutsche“ Wörter gebrauchen und schließlich die „Verwender“ (6,4 Prozent), die sich durchweg für den Gebrauch englischer Begrifflichkeiten aussprechen. Unterscheidet man nur nach positiver oder negativer Einstellung zu Anglizismen, überwiegen die Ablehner.

Die Forscher sind sich angesichts der Untersuchungsergebnisse einig, dass es weiterer Studien bedarf, um abschließend zu klären, welchen Einfluss die Einstellung und Persönlichkeitsmerkmale der einzelnen Sprecher auf den Gebrauch von Anglizismen hat und inwieweit er als Indiz für einen schrumpfenden gesellschaftlichen Zusammenhalt gewertet werden kann. Auch zur Klärung dieser Fragen will die Vestische Forschungsstiftung künftig beitragen.

Mehr Informationen sind erhältlich unter: www.vestische-forschungsstiftung.de.

Die einzelnen Untersuchungsergebnisse finden sich unter:
www.sozrepsy.uni-mainz.de/files/2019/07/Bericht-Anglizismenprojekt_2018-10.pdf und
www.uni-marburg.de/de/fb04/team-cohrs/gesellschaftliche-auswirkungendes-sprachwandels-sozialpsychologische-korrelate-der-verwendung-von-anglizismen.

Beide Studien wurden von der Vestischen Forschungsstiftung gefördert.

Ansprechpartner:
Dr. Hans-Joachim Thelen
Vorsitzender Vorstand
Vestische Forschungsstiftung e.V.
Tel.: 0 23 62 / 65755
hj.thelen@vestische-forschungsstiftung.de

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